Ersetzen Legal Tech Chatbots bald Rechtsanwälte?

Für die IT-Welt steht es bereits fest: Chatbots sind die nächsten Apps (siehe Wired-Artikel: Apps adé, jetzt kommen die Bots!). Auch die Legal Tech Welt werden Chatbots erobern. Stellen Sie sich einfach folgendes Szenario vor: Sie besuchen eine Webseite zum Thema Arbeitsrecht. Dort gelangen Sie in einen Chat, der 24 Stunden erreichbar ist. Sie werden begrüßt und gefragt, was man für Sie tun kann. Sie schreiben (oder dank Spracherkennung sagen): „Ich habe ein Problem. Mein Arbeitgeber hat mir gekündigt und ich bin nicht sicher, ob die Kündigung wirklich rechtmäßig ist?“ Der Chatbot antwortet: „Vielen Dank, ich helfe Ihnen gerne.“

Im weiteren Verlauf des Chats werden Sie gebeten, Ihr Rechtsproblem genauer zu beschreiben. Es werden einzelne, konkrete Fragen gestellt, die Sie beantworten müssen und Sie können am Ende des Chats Ihren Arbeitsvertrag und Ihre Kündigung hochladen. Diese Dokumente, und Ihre Antworten, werden in Echtzeit von einer Software analysiert und je nach Einfachheit der Sachlage (bzw. Abhängig von der Tiefe der künstlichen Intelligenz der Software) wird Ihnen Ihre ursprüngliche Frage nach der Rechtmäßigkeit der Kündigung beantwortet und mit einem Gutachten zusammen angezeigt. Sollte der Fall zu komplex sein (was einfach gesagt bedeutet, dass er zu sehr von der Norm abweicht, die die Software unter Verwendung von Big Data und Machine Learning zu diesem Zeitpunkt analysieren kann), wird ein Rechtsanwalt zur Beantwortung hinzugezogen. Für den Fall dieser „menschlichen“ Nach-Bearbeitung hat der Chatbot alle zuvor angegebenen Daten, plus passender Gerichtsurteile, für den Anwalt bereits aufbereitet und die wesentlichen Informationen herausgefiltert, so dass dieser den Fall zeitsparend bearbeiten kann.

Wirtschaftlich betrachtet ist eventuell vor der Beantwortung der Frage eine Festpreis-Gebühr zu zahlen (z.B. als Vorkasse via Paypal oder Bitcoin, was auch lästige Mahnschreiben bei Nichtzahlung obsolet machen würde), eine spezielle Rechtsschutzversicherung greift oder die gestellte Rechtsfrage wird sogar kostenlos beantwortet, weil die Webseite werbefinanziert ist und der Mandant seine zuvor eingegebenen Daten für Werbezwecke und statistische Erhebungen (z.B. für eine Versicherung) zur Verfügung stellt. Hierfür wären allerdings Anpassungen des Rechtsdienstleistungsgesetzes notwendig.

Sie denken vielleicht, dieses Szenario ist unwahrscheinlich oder schlicht nicht möglich? Schon jetzt gibt es die ersten rechtlichen Chatbots, auch wenn diese technisch noch nicht sehr ausgereift sind. Als Beispiel ist hier einer der ersten Legal-Chatbots zu nennen, der von einem 19-jährigen Engländer programmiert wurde. Hierbei handelt es sich um einen Chatbot, der nach Abfrage diverser Daten automatisch Einspruch gegen Strafzettel für Falschparker einlegt. Innerhalb von 21 Monaten konnte der Chatbot so 160.000 Strafzettel in Höhe von insgesamt ca. vier Millionen Euro Bußgeldern abwenden. Die Erfolgsrate des Programms lag bei 64 Prozent (Quelle: tz.de).

Natürlich ist es noch ein weiter Sprung von einem Chatbot, der simple Daten abfragt und diese automatisiert als Dokument an eine Behörde übermittelt, bis hin zu einem Chatbot, der komplexe Rechtsfragen selbständig beantworten kann. Durch die fortschreitende exponentielle Entwicklung im Bereich der künstlichen Intelligenz wird auch dieses oben beschriebene Szenario aber nicht mehr so weit entfernt sein, wie manche vielleicht denken. Viele Legal Tech Firmen arbeiten aktuell bereits an Software, die Verträge intelligent im Kontext lesen, verstehen, vergleichen und analysieren kann. Es ist daher nur eine Frage der Zeit, bis Standard-Rechtsfragen automatisiert gelöst werden können (wie z.B. einfache Standard-Klauseln in Mietverträgen auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen) und es später dann immer komplexere Rechtsfragen werden, die von einer Maschine beantwortet werden können. Hier ist die künstliche Intelligenz immer im Kontext mit Big Data und Maschine Learning zu sehen. Nur unter der Voraussetzung von vielen bereits gelösten Fall-Beispielen kann ein Legal Chatbot Fälle selbständig lösen und erkennen, ob und welche Abweichungen es zu bereits gelösten Fällen oder bestehenden Gerichtsurteilen gibt.

Fazit: Die Beantwortung der oben aufgeworfenen Frage, ob Legal Chatbots bald Rechtsanwälte ersetzen, würde ich persönlich mit Nein beantworten. Sie werden aber immer größere Teile der Arbeit eines Rechtsanwalts übernehmen. Dies fängt mit der Abfrage und Aufbereitung von Daten an und endet in absehbarer Zeit bei der Lösung von rechtlichen Problemen, die bereits massenhaft vorkamen. Das Schwierigste aber, was eine Chatbot-Falllösungssoftware leisten muss, ist die Sprache von Laien in einen juristischen Sachverhalt umzusetzen. Hierzu muss die Software nicht nur Kontext verstehen, sondern wie ein Rechtsanwalt in einer Erstberatung vor allem die richtigen Fragen stellen, um alle Tatbestandsmerkmale korrekt einordnen und subsumieren zu können.


Autor: Patrick Prior
Jurist & Legal Tech Berater
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